Die Perle

Bibliotheksdirektorinnen arbeiten hart und bis tief in die Nacht. Konzepte, Zielkataloge und strategische Planungen gelingen oft erst, wenn die Kundschaft nach Hause gegangen ist. Ein paar Stunden später geht dann auch die Direktorin heim. Die Hausarbeit wird dann im Galopp erledigt: Diverse Maschinen spülen und waschen, einmal pro Woche kommt professionelle Hilfe, nennen wir sie mal "die Perle". Die Perle bekommt alles sauber, schrubbt und wischt die Badewanne und den Boden. Wenn sie damit fertig ist, sucht sie sich ein paar verschmierte Fenster oder wäscht Schränke aus – sie ist frei in ihren Entscheidungen und beginnt dort, wo es am schmutzigsten zu sein scheint. Diesmal fiel ihr Blick auf das große Bücherregal …

Tatkräftig packte sie zu: Alle Bücher raus, das Staubtuch geschnappt und losgelegt  – so ist die Perle! Danach alle Bücher wieder rein ins Regal, am besten so wie es am besten passt. Die Perle arbeitete stumm und die Sortierung nach Größe und Dicke der Bücher ergab sich zwangsläufig. Eine zusätzliche zweite Reihe war nicht zu vermeiden, doch das Ergebnis hielt ihrem kritischen Blick stand. „Wunderbar, alles sauber und wieder eingeräumt!“

Beim nächsten Griff ins Regal fand die Bibliotheksdirektorin dann:

  • Sylvia Plath zwischen Tucholsky und Max Frisch und Shakespeare völlig verräumt.
  • Thomas Mann ganz am Ende und Heinrich Manns „Der Untertan“ in der zweiten Reihe neben Stefan Zweig.
  • Klaus Mann war gar nicht zu sehen.
  • Siegfried Lenz zwischen einem Kinderliederbuch und der Bibel, Anna Seghers dafür neben Thomas Bernhard und
  • Erich Kästner vor Brecht und hinter „Winnie the Puh“.

Die „Tintenherz“-Trilogie war ganz weg: Die Direktorin fand sie im noch verstaubten Märchen- und Gedichteregal: Die Lücke passte genau für die drei dicken Bände! Gleich daneben stand dann auch der „Mephisto“.

2 Gedanken zu „Die Perle

  1. Liebe Bibliotheksdirektorin, ich glaube, die Perle war auch schon bei mir unterwegs ;-))
    Aus Platzgründen habe ich auch die so genannte „Perlen-Ordnung“; von einer anderen muss ich noch bis mindestens September träumen…

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