Mit einem Bein im Knast

Dass Juristen und Theologen unsere Bibliotheksbücher am meisten lieben, ist immer wieder bewiesen worden. Auch Germanisten sammeln und horten daheim recht gerne, manchmal vergessen sie es einfach, vorher an der Ausleihtheke vorstellig zu werden. Das kann man dann in den überregionalen Zeitungen nachlesen. Doch Bibliotheksdirektorinnen gehören neuerdings auch zum Kreise der Delinquentinnen und müssen als gefährlich eingestuft werden. Hier ist der Beweis!

Der Mann war schon älter, rustikal mit Wanderschuhen und Knickerbockern ausgestattet. Er brachte einen Brief mit, vier eng mit Schreibmaschine beschriebene Seiten: die Anklageschrift. Eindeutig wies er nach, dass die Bibliotheksdirektorin den mehrbändigen Kohlhammer-Kommentar, der vor 10 Jahren noch vollständig in der Bibliothek vorhanden war, geklaut haben musste. Die Bibliotheksdirektorin war gerade etwas belastet, lud den Mann dennoch zu einem Gespräch ein und versuchte, den Verdacht abzuwenden. Sie erklärte lang und breit, wie der Bestandsauf- und abbau in der Bibliothek erfolge und dass unvollständige und veraltete Rechtskommentare aussortiert werden müssen. Ein eindeutiger Beweis ihrer Schuld! Sie hätte sich das übrigens auch sparen können, der Ankläger führt Gespräche dieser Art immer ohne sein Hörgerät, wie sich später herausstelle. Doch sie hatte Glück– der Mann vergaß die Sache einfach. Acht Jahre später tauchte er allerdings wieder auf …

… und das Blatt wendete sich. Der Beschwerdebrief war diesmal nur von kleinem Format (9 x 9 cm) und direkt an den Buckdeckel getackert. „Sachbeschädigung!“, rief die Bibibliotheksdirektorin erbost, „wie geht der denn mit unseren Büchern um!?“ und widmete sich dem Inhalt des „Schreibens“. Sie staunte, sie wunderte sich, welch wundersame Läuterung war denn hier passiert? Der Mann monierte nun, dass der Steuerrechtskommentar, den er ausgeliehen hatte, inhaltlich veraltet wäre und daher ‚grob irreführend‘ sei. Mit Freuden bedankte sie sich für den sachdienlichen Hinweis, löschte den Kommentar aus dem Bestand und warf in kurzerhand in den Müll, schließlich hatte er ja auch 2 Tackerlöcher im Buchdeckel.

Manchmal ist es doch wirklich schön, die kognitive Weiterentwicklung der Menschen in unserem näheren Umfeld, beeinflussen, verfolgen und genießen zu können! Sollte man zwischendurch mal kurzfristig im Knast landen, ist das auch nicht so schlimm und bestimmt erholsam! 😉