Nachts– ein Dramolett in fünf Akten unter Beteiligung von Georg Kreisler

1. Akt

Mal wieder war es spät geworden. Auf dem heimischen Küchentisch liegt ein scheinbar harmloser Zettel mit folgenden Kurzinfos:

  • Anruf eines Herrn: hat Bücher (ganz gut, sagt er)
  • von Readers Digest
  • Will die wohl gegen andere Bücher tauschen!
  • Anruf heute um 21:30 Uhr
  • Will Dich in der Bibliothek anrufen!

Habe ich das richtig verstanden oder soll ich mal eben erklären, was eine Bibliothek ist?

Selbstverständlich kann man auf die kreative Idee kommen, seine Bücherschätzchen aus dem Keller gegen Bibliotheksbücher einzutauschen. Man kann über alles nachdenken– das ist ja schließlich ein begrüßenswerter, dazu hoch-philosophischer Ansatz. Ich wartete also mit gemischten Freuden auf den angekündigten Anruf … und erzählte diese Geschichte im erweiterten Kollegenkreis.

Doch es kam ganz anders! Folgende Kollegen-Mail purzelte mir in den Posteingang:

Liebe Kollegin!
Sie haben mich auf die Idee gebracht, wie ich endlich meine alten– von meiner Großmutter geerbten– Lore-Romane entsorgen kann, ohne die blaue Wertstofftonne zu überfüllen. Wenn’s recht ist, rufe ich Sie gleich gegen 23.50 Uhr (nach dem Kegelabend) an, und wir können alles in Ruhe besprechen, damit ich nicht nur die verstaubten Kartons aus dem Hause kriege, sondern auch noch ein gutes Werk tue und das Wohlgefühl feiern kann, für meine Mitmenschen liebevoll dagewesen zu sein. Alles klar?

2. Akt

Am folgenden Abend– ich war wieder erst spät zu Hause– fand ich dann einen neuerlichen Zettel:

  • Dem Kollegen ist nicht zu trauen!
  • Er hat nicht angerufen und ich habe die ganze Zeit gewartet!

Mein Versuch, die beiden Tauschtypen zusammenzubringen und sich gegenseitig mit Lore-Romanen und Readers-Digest zu beglücken, blieb erfolglos, schade, ja wirklich!

* Jetzt kommt eine Pause. Manche gehen nach Hause,
manche trinken Brause, das ist der Zweck der Pause. *

3. Akt

Wochen später– Spannung pur! Ein seltsam verknitterter Briefumschlag– schon mindestens 10-mal benutzt– zu meinen Händen! Die Schrift ist halbwegs lesbar, kein Absender! Ein Brief liegt drin und ein Edelweiß-Bergroman (Heft Nr. 31) von Rosemarie Forstmaier mit dem Titel: „Alpenrosen für das Materl: Hat er deine Treue verdient?“

Ist das jetzt die 1. Charge aus der Kiste der Lore-Romane der Großmutter des Kollegen? Tatsächlich! Und jetzt wünscht sich dieser Spaßvogel auch noch einen Ehrenplatz in der Bibliothek dafür. Außerdem soll ich mal drüber nachdenken, Herrn Reich-Ranicki um eine wohlwollende Kritik zu bitten!

Ja, sonst noch? Vielleicht ein Käsebrötchen? 😉

4. Akt

Die Recherche beginnt– wozu ist man den schließlich Bibliothekarin– und ich stelle fest: Ein Betrug der Superklasse! Die Lore kommt gar nicht vor, das Heft hat 1,35 € gekostet und kann bestenfalls ein billiger Nachdruck sein! Auf der Internetseit des Kelter-Verlages („Kelter ist kult“) steht nämlich, dass die Reihe „Edelweiß Bergroman“ schon mindestens bei Heft 902 angekommen ist. Heft 902 ist 1991 erschienen, dann müsste das Heft 31 also im Jahre 1957 herausgekommen sein– wie kommt dann der Euro-Preise drauf? Na?

5. Akt

Lass’ Dich nicht betuppen, Bibliotheksdirektorin! Der Kollege hat dich reingelegt, das ist ein billiger Reprint!

Nachspiel

Verbeugung mit dem netten Kollegen vor Publikum und Dank an den unbekannten Anrufer!

P.S. 

Der Readers-Digest-Band (dunkelblau mit Goldlettern!) liegt schon bereit! Den erhält der Kollege Spaßvogel– ob er will oder nicht! 😉

Ein Gedanke zu „Nachts– ein Dramolett in fünf Akten unter Beteiligung von Georg Kreisler

  1. Verehrte Frau Direktorin,

    es würde mich schon einmal interessieren, wer der besagte Kollege ist oder gibt es ihn in Wirklichkeit gar nicht, d. h. es ist – um in Ihrem Jargon zu bleiben – eine erdachte Romanfigur.

Kommentare sind geschlossen.