Moral und Solidarität

Die ältere Dame ist schon lange Stammkundin der Bibliothek und hatte sich gerade einen Stapel Romane ausgeliehen. Ihr Mann stand noch an der Ausleihtheke, und sie setzte sich an das kleine Tischchen neben der Eingangstür, stellte ihre Handtasche ab und packte alles ein. Dann lehnte sie sich zurück und entspannte.

Da kam schnellen Schrittes eine junge Frau aus dem Lesecafé heran, schnappte sich die Handtasche und gab Fersengeld. Geistesgegenwärtig schrie die alte Dame: „Haltet die Diebin!“ und sprang auf. Ihr Mann eilte zur Hilfe, andere schrieen nun auch. Dann rannten auch andere, um die dreiste Diebin zu stellen. Die junge Frau floh auf die Straße, und sofort fand die Verfolgungsjagd ein interessiertes Publikum. Es entstand ein filmreifes Handgemenge vor den zahlreichen Passanten.

Auch einige Obdachlose waren da, die in der Bibliothek gerne mal ein Bierchen kippen, was ihnen die Bibliotheksdirektorin immer wieder streng verbietet. Da es immer dieselben sind, werden sie in der Bibliothek liebevoll ‚unsere Penner‘ genannt. Alle hatten ihre Pulle Bier dabei und guckten. „Also, dat ist ja’n Ding“, sagte einer zu seinem Kumpel. „Klauen die jetzt schon inne Bibliothek?“ „Ja, sieße doch!“ bekam er zur Antwort. „Verdammt, dat is ja wohl voll unmoralisch!“

Weiterlesen

Ey Alter, kumma hier

„Kumma hier, wie dat aussieht, Alter!“
„Ey, bei mir sieht dat aber anders aus! Lass ma sehen!“

Die beiden Jungs saßen in der Jugendbibliothek und hatten die Abteilung „Liebe Sex“ vollständig ausgeräumt.  Sämtliche Bücher lagen um sie herum verteilt.  Sie lasen laut, ziemlich laut, hatten beide gute Vorlesestimmen und kommentierten ihre „Vorlesestunde“  immer wieder mit einem fetzigen: „Ey Alter, kumma hier!“ Dann beugten sie sich über das eine oder das andere Buch, guckten genau hin, lachten laut, hauten sich irgendwohin oder kicherten wie kleine Mädchen.

Unsere Bibiotheksdirektorin stromerte dreimal an den lernbegierigen Jungs vorbei und war von der Inszenierung ganz begeistert. „Die könnte man für  einem Book-Slam gebrauchen!“, dachte sie bei sich und drehte weiter ihre Runde.

Zwei Stunden später hatte sich die Truppe vergrößert.  Sechs Jungs machten nun Radau, guckten in den Büchern herum und schmiedeten dann Pläne für den restlichen Tag. Sie verließen die zerfetzte  Literaturabteilung „Liebe Sex“ mit den Worten:

„Ey, dann gehen wir aber runter in die Erwachsenenbibliothek.  Hier isset immer so laut, da unten isset viel ruhiger, Alter.“

Alte Bücher an Elektroschrott

Die Menschen haben freundliche Vorstellungen vom Arbeitsleben einer Bibliohteksdirektorin. Hier eine kleine Kostprobe.

Noch im Mantel und vor Eroberung des Arbeitsplatzes findet die erste Besprechung über den Bestseller „Irre“ auf auf der Treppe statt. Der Messebesuch der Azubine wird dabei auch schnell abgeklärt und die Praktikantin lernt– ruck, zuck– wie das  Lochen von vier Löchern geht.

Jetzt den Rechner anschalten, Mantel ausziehen, Luft holen und die Krankmeldungen sichten. Ah, fünf Leute wollen zurückgerufen werden, doch dazu kommt die Direktorin vorerst nicht.  Der Mann am anderen Ende der Leitung ist schneller und will unserer Direktorin eine Beschallungsanlage zum Verleihen an ihre Kundschaft schmackhaft machen. Braucht sie die? Nö!

Kurze Zeit später versuchen am Telefon diverse weibliche Leseratten der frechen Art, ein Engagement in der Stadtbibliothek zu ergattern. Hat die Direktorin Geld dafür? Nö!

Dann ruft ein Händler aus Leipzig an: Alte Bücher will er verkaufen– Gott sei Dank hat die Bibliotheksdirektorin davon selbst genug und sagt: Nö!

Weiterlesen

Entspannung am Abend

Zur geistigen Erbauung veranstalten Bibliotheken immer mal wieder Autorenlesungen. Das Publikum kommt gerne und die Bibliotheksdirektorin begrüßt alle Gäste persönlich beim  Eintreffen. Sie ist schon seit 2 Stunden da, hat den Job des Hausmeisters mal eben selbst erledigt, das Lesecafé umgeräumt  und mehr als 50 Stühle hübsch an Tischen platziert. Die Salzstangen sind verteilt, Gummibärchen und Salzlakritze liegen zum Naschen auf den Tischen,  und die  Getränke stehen zur Selbstbedienung parat. So langsam füllt sich der Raum: Fast 60  Zuhörerinnen sind da, allein die Autorin fehlt. Diese kommt aus der benachbarten Großstadt; unsere Direktorin wird nun langsam nervös. Auf der Straße ist nichts zu sehen– doch schon in fünf Minuten soll es losgehen. Frierend steht die Direktorin vor dem Eingang herum:  Hopsen, Springen und Winken ist jetzt angesagt, sobald der Wagen der Autorin erkannt wird, damit diese weiß, wo’s rein geht und nicht womöglich am Eingang der Bibliothek vorbeirauscht.

Um „10 nach“ ruft die Direktorin schließlich auf dem Handy der Autorin an: „Ich bin kurz vorm Ziel. Wir hatten uns verfahren!“,  kommt die fröhliche Antwort.

Es folgt eine kurze Ansage für das wartende Publikum, und um „20 nach“ ist es endlich so weit. Die sympathische Autorin ist gelandet, holt 3-mal Luft und legt los. Die Bibliotheksdirektorin sinkt auf einen Stuhl, freut sich auf eine kurzweilige Lesung und macht es sich gemütlich. Weiterlesen

Wer lesen kann …

Die Direktorin war in München, um einen Workshop für 20 bayerische Kolleginnen und Kollegen zu halten.  In der ehrwürdigen Bayerischen Staatsbibliothek wirkte das Thema fast zu locker:  „Echt cool! Voll fett! Wie holt man Jugendliche in die Bibliothek?“ Der Veranstaltungsraum lag auf der sonst eher ruhigen  Direktionsetage der Staatsbibliothek, die unter anderem auch Inkunabeln und andere Kostbarkeiten sammelt und für die Nachwelt konserviert. Die Schätze sind wertvoll, dementsprechend leise und ehrerbietig benimmt sich die Nutzerschaft.

Die Direktorin schaffte es in der knapp bemessenen Mittagspause, Einlass in die Bibliothek zu erhalten. Der erste Security-Mann ließ sie passieren, da ein Kollege der bayerischen Fachstelle für Bibliotheken für sie bürgte.  Erwartungsvoll betrat sie den riesigen Lesesaal, hob vorsichtig die Füße und versuchte, geräuschlos über den Teppichboden zu gleiten. Es war jedoch wie immer: Hunderte von Menschen dösten hier, schliefen, meditierten oder hingen einfach ab, einige müffelten vor sich hin, schätzungsweise die Hälfte las konzentriert.

Die Direktorin verließ den Schlafsaal und machte sich auf, die Schatzkammer zu erkunden. Auch der zweite Security-Mann ließ sie ein, klaute ihr dafür aber die Handtasche. Der Lesesaal der Schatzkammer war es jedoch wert: Allein die Bleibänder zum Beschweren der großen Folianten waren beeindruckend. Ein Buch zum Angucken hätte allerdings vorab per Leihschein bestellt werden müssen. Also zog die Direktorin wieder ab und schaute sich gleich hinterm Eingang die kleine Vitrinenausstellung wertvoller Handschriften an. Der Raum war abgedunkelt und klimatisiert und hatte zwei Besucher: Eine ältere Dame nebst … Weiterlesen

Chefsachen und Hundsfragen

Da gibt es eine Kundin, die einen Hund hat. Dieser Hund ist ein armes Wesen, wird er doch jeden Samstag vor der Bibliothek angebunden und kläfft sich dann die Seele aus dem Leib. Andere Kunden trauen sich an dem Kläffer kaum vorbei, das Frauchen aber verschwindet regelmäßig für mindestens eine Stunde im Bibliotheksgebäude, um im Internet zu surfen. Das Verlassenheitssyndrom ihres Hundes berührt sie anscheinend nicht besonders.

Nun beschäftigen sich bereits Arbeitsgruppen des Hauses mit dem Problem-Hund, erwähnte die Dame doch, sie könne ihn nicht zu Hause lassen, da er dort auch laut bellen würde und der Vermieter ihr schon angedroht habe, ihr deswegen zu kündigen.

Was macht man, wenn man nicht weiter weiß? Man geht zur Bibliotheksdirektorin und erbittet einen Lösungsvorschlag! Immerhin hatte die doch selbst schon mal einen verhaltensgestörten Hund!

Weiterlesen