Ey Alter, kumma hier

„Kumma hier, wie dat aussieht, Alter!“
„Ey, bei mir sieht dat aber anders aus! Lass ma sehen!“

Die beiden Jungs saßen in der Jugendbibliothek und hatten die Abteilung „Liebe Sex“ vollständig ausgeräumt.  Sämtliche Bücher lagen um sie herum verteilt.  Sie lasen laut, ziemlich laut, hatten beide gute Vorlesestimmen und kommentierten ihre „Vorlesestunde“  immer wieder mit einem fetzigen: „Ey Alter, kumma hier!“ Dann beugten sie sich über das eine oder das andere Buch, guckten genau hin, lachten laut, hauten sich irgendwohin oder kicherten wie kleine Mädchen.

Unsere Bibiotheksdirektorin stromerte dreimal an den lernbegierigen Jungs vorbei und war von der Inszenierung ganz begeistert. „Die könnte man für  einem Book-Slam gebrauchen!“, dachte sie bei sich und drehte weiter ihre Runde.

Zwei Stunden später hatte sich die Truppe vergrößert.  Sechs Jungs machten nun Radau, guckten in den Büchern herum und schmiedeten dann Pläne für den restlichen Tag. Sie verließen die zerfetzte  Literaturabteilung „Liebe Sex“ mit den Worten:

„Ey, dann gehen wir aber runter in die Erwachsenenbibliothek.  Hier isset immer so laut, da unten isset viel ruhiger, Alter.“

Der Trichter und sein Henkel

Die Ferien hatten gerade begonnen und unsere Direktorin hatte Besuch: Ihre Großneffen und -nichten sprangen herum. Mit der kleinen Großnichte aß sie abends und am Wochenende am liebsten Hühnersuppe, die große Großnichte brauchte eigentlich nur einen Spiegel und viel Glitzerschminke, und der Großneffe lief gerne im Blaumann herum und sägte und ackerte im Garten. Wie freute sich die Bibliotheksdirektorin, als sich beim Sägen ein literarisches Gespräch entwickelte.

– „Du sag’ mal, Du kennst doch so viele Bücher und hast doch auch welche; ich muss nämlich eins für die Schule lesen. Kannst Du mir das in den Ferien leihen?“
– „Ja klar!“ antwortete die Direktorin. „Wie heißt denn das Buch?“
– „Wie, wie das heißt?“
– „Na, der Titel vom Buch, wie lautet der?“
– „Ja nee, das weiß ich nicht, da muss ich mal gucken, wo ich das habe, ich sag’ Dir morgen Bescheid.“

Der Großneffe ging auf die Suche, und kurz vor dem Ferienende wurde er fündig: „Ich hab ’s!“ rief er fröhlich. „Das Buch ist von einem Henker und einem Dichter! Hast Du das?“

Gott sei Dank fand die Direktorin den Dürrenmatt-Krimi in ihrem Bücherschrank. Und auch wenn der Titel nicht so ganz der Erwartung entsprach, fing der junge Mann sofort an zu lesen …

Schlüsselqualifikationen

Die allermeisten Leute glauben immer noch, dass es als Qualifikation für die Arbeit in einer Bibliothek völlig ausreiche, lesen zu können. „Das Schwarze sind die Buchstaben“ schrieb schon Hans Weigel und mehr braucht es dann wohl nicht.

„Was, Sie haben studiert? Ja, wofür denn? Und eine Ausbildung von drei Jahren kann man auch bei Ihnen absolvieren? So lange dauert das? Was lernt man denn da so?“ Dann fängt unsere Direktorin an zu erklären und wirft mit bibliothekarischen Fachbegriffen nur so um sich.

Ganz kurz antwortet sie jedoch auf Initiativbewerbungen, mit denen sich Bäckereifachverkäuferinnen, Kindergärtnerinnen, Journalisten, Lehrer, promovierte Germanisten oder auch Industriekauffrauen bei ihr bewerben. „In Beantwortung Ihrer Bewerbung möchte ich Sie darüber informieren, dass in unserer Bibliothek ausschließlich Berufsgruppen eingestellt werden, die  eine Ausbildung im Bereich Bibliothekswesen absolviert haben.“

Die letzte Bewerbung brachte sie jedoch zum Nachdenken. In der Bewerbung um eine Stelle als „Bibliothekerin“ fand sie eine besondere Qualifikation, die in Bibliotheken bis jetzt völlig unbeachtet geblieben war:

Die Dame war ausgebildet für astrologische Beratung und Horoskope, war „Kartelegerin“ und gab unter dem Stichwort „Berufstätigkeit“ an, bei einer Firma „in Fach Astrologi und Kartenlesen“ gearbeitet zu haben.

Na, immerhin kam das Wort „lesen“ drin vor!

Lesemotivation

Für unsere Bibliotheksdirektorin war im Rahmen der bundesweiten Bibliothekswoche „Deutschland liest. Treffpunkt Bibliothek“ Nachtarbeit angesagt. An 8 Veranstaltungstagen mit 11 Aktionen begrüßte sie die zahlreich erschienenen Gäste, rappte das Rumpelstilzchen und fiel um Mitternacht völlig erledigt ins Bett. Ein Highlight war der „Ohrclip“ des WDR 5 mit Frank Schätzing und Elke Schmitter. 170 Besucherinnen und Besucher hatten sich angemeldet, es gab Sekt, Selters, Saft und Bionade.

„Mmmh, lecker!“, fand Herr Schätzing und schnappte sich gleich ein Fläschchen Öko-Limo. Die Gäste bedienten sich ebenso, fanden auch die Knabbereien lecker und alles war prima.

Zwei Tage später stand der Vortrag „Was ist eigentlich ‚Gute Literatur‘?“ auf dem Programm. Auch zwei außergewöhnlich aussehende Männer hatten sich diesmal eingefunden, zögerten aber etwas, den eigentlichen Vortragsraum zu betreten.

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„Diplom-Kaninchen“ und Leseratte

Woher es kam, wusste niemand so genau. Wie lange es schon zwischen den Regalen herumhoppelte, konnte auch die Bibliotheksdirektorin nicht sagen. Welches Buch es gerade suchte, war auch nicht zu erkennen. Jedenfalls wurde ein schwarz-weißes Hauskaninchen in der Kinderbibliothek entdeckt. Die Jungs von der Feuerwehr kamen sofort, fingen es sanft ein und zollten dem Einsatzort Respekt: Sie tauften das etwas schmuddelige Hoppel-Tier  „Diplom-Kaninchen“.

Wenige Tage später traute die Direktorin ihren Augen nicht: Da marschierte doch tatsächlich während der täglichen Vorlesestunde eine Ratte zur Türe herein.  So eine Kuh-Ratte, mit schwarzen und weißen Flecken. Ohne zu zögern bog das Nagetier nach rechts in die Kinderbibliothek ab und verschwand unter dem Himmelbett, wahrscheinlich um heimlich zuzuhören. Weiterlesen

Wer lesen kann …

Die Direktorin war in München, um einen Workshop für 20 bayerische Kolleginnen und Kollegen zu halten.  In der ehrwürdigen Bayerischen Staatsbibliothek wirkte das Thema fast zu locker:  „Echt cool! Voll fett! Wie holt man Jugendliche in die Bibliothek?“ Der Veranstaltungsraum lag auf der sonst eher ruhigen  Direktionsetage der Staatsbibliothek, die unter anderem auch Inkunabeln und andere Kostbarkeiten sammelt und für die Nachwelt konserviert. Die Schätze sind wertvoll, dementsprechend leise und ehrerbietig benimmt sich die Nutzerschaft.

Die Direktorin schaffte es in der knapp bemessenen Mittagspause, Einlass in die Bibliothek zu erhalten. Der erste Security-Mann ließ sie passieren, da ein Kollege der bayerischen Fachstelle für Bibliotheken für sie bürgte.  Erwartungsvoll betrat sie den riesigen Lesesaal, hob vorsichtig die Füße und versuchte, geräuschlos über den Teppichboden zu gleiten. Es war jedoch wie immer: Hunderte von Menschen dösten hier, schliefen, meditierten oder hingen einfach ab, einige müffelten vor sich hin, schätzungsweise die Hälfte las konzentriert.

Die Direktorin verließ den Schlafsaal und machte sich auf, die Schatzkammer zu erkunden. Auch der zweite Security-Mann ließ sie ein, klaute ihr dafür aber die Handtasche. Der Lesesaal der Schatzkammer war es jedoch wert: Allein die Bleibänder zum Beschweren der großen Folianten waren beeindruckend. Ein Buch zum Angucken hätte allerdings vorab per Leihschein bestellt werden müssen. Also zog die Direktorin wieder ab und schaute sich gleich hinterm Eingang die kleine Vitrinenausstellung wertvoller Handschriften an. Der Raum war abgedunkelt und klimatisiert und hatte zwei Besucher: Eine ältere Dame nebst … Weiterlesen